Konfliktpotential
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Sicherheitsstatus der Q‑Abflugverfahren via POBAM fraglich

Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF) will von Risiken nichts wissen

Zitat: DFS GmbH,
Vortrag zur 71. Sitzung der FLK, S. 22

Zitat: BAF, Aktenzeichen LFR/1.3.10/0013/11,
Festlegung von Flugverfahren für BER, S. 64/65

Abflugrouten für Abflüge bei
Ostwindwetterlagen von der Südbahn
[...] Die Simulationsauswertung ergab bei [...]
frühem Abdrehen nach Süden und danach Westen
ein um 72% höheres Konfliktpotential
mit den anfliegenden Luftfahrzeugen im
rechten Gegenanflug gegenüber einem
längeren Geradeausflug.
Eine ordnungsgemäße und flüssige
Betriebsdurchführung ist durch die Erhöhung
des Konfliktpotenzials nicht mehr gewährleistet
.“
Von der südl. Piste in BR 07 zum Punkt LULUL
[...] Die DFS hat dieses Verfahren im Rahmen der am
26.09.2011 vorgestellten Optimierung durch ein noch
früheres Abdrehen nach Süden sogar noch geringfügig
verbessern können
. Es wird zwar nach Ermittlungen der
DFS zu betrieblichen Einschränkungen bei Anflügen
kommen können, die regelmäßig nicht mit einem
kontinuierlichen Sinkflug zur Landung gebracht
werden können.“


Eine Situation, in der sich Luftfahrzeuge auf Kollisionskurs zu sehr annähern, nennt man einen potentiellen Konflikt. Die Zahl der Konflikte ist bei den Q‑Abflugverfahren um ein Vielfaches höher als bei den Z‑Abflugverfahren. Wird der Steigflug bis Flughöhe 3050 m nicht mit mindestens 10 % durchgeführt, erhöht sich das Konfliktpotential zusätzlich. Deshalb warnte die DFS GmbH im Januar 2011 aufgrund ihrer Simulationsergebnisse, daß eine ordnungsgemäße Betriebsdurchführung nicht mehr gewährleistet ist. Auch eine später durchgeführte Sicherheitsbewertung, die eigentlich einen weiteren Vorschlag zu nicht ICAO konformen Abflugverfahren untersuchen sollte, bescheinigte einigen vom BAF bereits verordneten Abflugverfahren erhebliche Sicherheitsmängel. Und außerdem hat eine entsprechende Warnung der Stadt Mittenwalde an die FLK sowie die Landesluftfahrtbehörde, die DFS GmbH und das BAF auf die Kluft zwischen Verordnung und Umsetzbarkeit hingewiesen.

Wie sieht es nun im praktischen Flugbetrieb aus? Seit Juni 2021 sind die Probleme offenkundig. Abweichungen von der Mindeststeigrate und vom Flugweg sind zur alltäglichen Unsitte geworden. Es kommt zu potentiellen Konflikten, die notgedrungen in einem abrupten Ausweichmanöver enden. Die Auswertung der Flugverlaufsdaten zeigt, daß der Steigflug nicht wie vorgeschrieben mit mindestens 10,0 % (610 ft/NM) durchgeführt wird. Viele unterschreiten diesen Mindestwert sogar mehrfach. Die seitliche Abweichung vom Sollflugweg ist teilweise so groß, daß nach dem Start der vom BAF genehmigte Korridor des Abflugverfahrens nahe Waltersdorf verlassen und dabei im Umkreis um den Antennenmast auf dem Funkerberg in Königs Wusterhausen die für alle Flüge nach Instrumentenflugregeln geltende Mindesthöhe unterschritten wird. Weit über 95 % dieser Abflüge befolgen die Q‑Abflugverfahren via POBAM nicht!

Das BAF wird ständig über alle Verfehlungen informiert. Von Amts wegen wird aber deutlich mehr Bemühen gezeigt, darüber hinwegzusehen, anstatt pflichtgemäß als Ordnungsbehörde die Luftverkehrs-Ordnung durchzusetzen. Diesbezügliche Fach- bzw. Dienstaufsichtsbeschwerden führten beim BAF bislang noch nicht zu einem Einsehen.

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BAF ließ sich von DFS GmbH bei Abwägungsentscheidung täuschen

Von ordnungsgemäßer Betriebsdurchführung – also sicherer, geordneter, flüssiger Abwicklung des Luftverkehrs – kann nur dann die Rede sein, wenn sie in Übereinstimmung mit Luftverkehrsgesetz, Luftverkehrs-Ordnung und 247. Durchführungsverordnung sowie den Einheitlichen Europäischen Luftverkehrsregeln (SERA) und Richtlinien der ICAO erfolgt. Die Duldung sich ständig wiederholender Regelverstöße paßt da überhaupt nicht ins Bild. In Anbetracht des zu hohen Konfliktpotentials müßte die DFS GmbH mit Nachdruck auf der Einhaltung der Q‑Abflugverfahren (ex LULUL 1B) bestehen. Vom BAF geahndete Verfehlungen könnten die Piloten dazu anhalten, sorgfältiger das geeignete Abflugverfahren auszuwählen. Gegebenenfalls ist dann beim Abflug 07R die Nutzung der ICAO konformen und damit weniger steilen Z‑Abflugverfahren (ex LULUL 1N) oder ein Abflug 07L die bessere Wahl.


Kollisionspotential der kurzen Abflugverfahren 07R
  • 71. Sitzung der FLK am 17.01.2011 | Die DFS GmbH erklärte, daß bei Betriebsrichtung Ost und frühem Abdrehen von der Südbahn nach Süden und dann nach Westen eine ordnungsgemäße und flüssige Betriebsdurchführung nicht mehr gewährleistet ist. Grund dafür ist eine selbst im „günstigsten“ Testszenario siebenfache Anzahl potentieller Konflikte, welche „ein um 72% höheres Konfliktpotential“ hervorruft. Das ergab eine Serie von Simulationen, mit der die Wechselwirkung zwischen dem Abflugverfahren „LUDDI kurz“ und den Anflügen aus Süden in unterschielichen Szenarien dargestellt wurde. (siehe Vortrag der DFS GmbH zur 71. Sitzung der FLK, S. 21–22)
  • 72. Sitzung der FLK am 14.02.2011 | Im Referenzszenario führten 114 Abflüge bei ausschließlicher Nutzung des langen Abflugverfahrens mit einem Geradeausflug nach dem Start zu lediglich 9 potentiellen Konflikten. Dagegen drehten im Testszenario ORG 4 die Abflüge bereits über dem Ende der Startbahn nach Süden ab. Das verursachte 61 potentielle Konflikte, darunter fünf gefährliche Annäherungen von 0 bis <6 Nautischen Meilen (NM), was für eine ordnungsgemäße Betriebsdurchführung indiskutabel ist. (siehe Vortrag der DFS GmbH zur 72. Sitzung der FLK, S. 48–60)
  • 73. Sitzung der FLK am 14.03.2011 | Mit einem dreifach steileren Verfahrensplanungsgradienten (PDG) für das Abflugverfahren und einem stark abgesenkten, fast horizontalen Zwischenanflug hatte die DFS GmbH Szenario ORG 4 erneut simuliert. Die Abflüge durften weiterhin erst über dem Ende der Startbahn abdrehen. In der Folge ging das Konfliktpotential zwar ein wenig zurück, aber 46 potentielle Konflikte waren immer noch fünfmal mehr als die 9 potentiellen Konflikte beim Referenzszenario. (siehe Vortrag der DFS GmbH zur 73. Sitzung der FLK, S. 23–28)
  • 76. Sitzung der FLK am 09.05.2011 | Die Lufthansa hatte das kurze Abflugverfahren auf einem Airbus A320 Flugsimulator getestet. Dabei wurden die Höhenvorgaben nur unvollständig eingehalten. Offenbar scheitern auch Flugzeuge der A320-Klasse, die künftig zu Hunderten täglich vom BER starten, an dem nicht ICAO konformen Abflugverfahren mit einem PDG von 10 % (610 ft/NM). Darum warnte die DFS GmbH, daß ein wesentlich früheres Abdrehen vor dem Pistenende unterbunden werden sollte. (siehe Vortrag der DFS GmbH zur 76. Sitzung der FLK, S. 6, 10–11)
  • 80. Sitzung der FLK am 26.09.2011 | Trotz ihrer eigenen Warnung verschob die DFS GmbH den Beginn der ersten Kurve des Abflugverfahrens 1600 m vor das Abflugende der Startbahn. Das BAF glaubt, man habe das Verfahren „durch ein noch früheres Abdrehen nach Süden sogar noch geringfügig verbessern können”. Praktisch ist es damit jedoch viel schwieriger, die vertikale Mindeststaffelung über den Anflügen zu erreichen, weil die zum Steigen verfügbare Flugstrecke nominal um ca. 6,3 km verkürzt wurde. (siehe Vortrag der DFS GmbH zur 80. Sitzung der FLK, S. 11–12)
  • Stellungnahme vom 01.12.2011 | Der Aufklärungsbitte des BAF folgend nahm die DFS GmbH Stellung, um anhand des Steigverhaltens von 479 Abflügen nachzuweisen, daß ein 10 % Mindeststeiggradient für Abflüge vertretbar sei. Als Nachweis taugt das im Geradeausflug bei 0,9°C gezeigte Steigverhalten allerdings nicht, denn ausschlaggebend ist es nur bei Referenztemperatur des BER (2011: 23,5°C). Außerdem wurde völlig außer acht gelassen, daß Abflüge vom BER nach dem Start 07R eine Kurve und 90 km/h langsamer fliegen. Die DFS GmbH hatte Äpfel mit Birnen verglichen. Das BAF übersah die Fehler der Stellungnahme und legte obendrein die Q‑Abflugverfahren abweichend von ICAO‑Standards fest. (siehe Stellungnahme der DFS GmbH gegenüber dem BAF, Brief S. 2 & Anlage)

Fazit: Zuletzt wurden die Abflugverfahren über den Punkt LULUL hinaus zu den Endpunkten LOGDO und SUKIP weitergeführt und in Q‑Abflugverfahren umbenannt. Auf das Konfliktpotential hatte dies keinen Einfluß, weil der Verfahrensabschnitt bis LULUL unverändert geblieben ist. Auch bei den Q‑Abflugverfahren ist die Flugstrecke bis zum Konfliktbereich mit den Anflügen u. a. durch wesentlich früheres Abdrehen vor dem Ende der Startbahn im Vergleich zum Szenario ORG 4 erheblich kürzer. Bei einem Steigflug mit 610 ft/NM (10 %) überwinden die Abflüge pro Flugkilometer eine Höhendifferenz von 100 m. Somit wird der Punkt POBAM grundsätzlich 630 m niedriger erreicht, als es mit dem ursprünglich 6,3 km längeren Flugweg möglich und gemäß den Höhenvorgaben zwingend erforderlich wäre. Derartiges Abweichen vom Szenario ORG 4 läßt das nach der ersten Schnellzeitsimulation als zu hoch eingestufte und zwischenzeitlich abgesenkte Konfliktpotential wieder anwachsen. Ein Luftdruck über 1013 hPa und das Steigverhalten sowohl im langsameren Kurvenflug als auch bei höheren Temperaturen verschärfen diesen Mißstand, was nur lückenhaft Berücksichtigung fand. Folglich steht die uneingeschränkte und bevorzugte Nutzung der Abflugverfahren LOGDO 1Q und SUKIP 1Q deutlich der ordnungsgemäßen Betriebsdurchführung entgegen.

Im Gegensatz dazu werden beim BER DROps-Verfahren die Q‑Abflugverfahren nur bedingt genutzt. Piloten können einen Flugplan mit Q‑Abflugverfahren via POBAM aufgeben, erhalten damit aber erst eine Freigabe zum Start, wenn über Schönhagen keine potentiellen Konflikte im Kreuzungsbereich mit Anflügen erwartet werden. Deshalb muß die Platzkontrollstelle des BER (TWR Berlin) zunächst die Zustimmung der Anflugkontrollstelle (APP Berlin) zur Startfreigabe für ein kurzes Abflugverfahren einholen. Durch die Auflösung des Konfliktpotentials sind die Abflüge nicht mehr zu einem Steigflug mit mindestens 10 % (610 ft/NM) gezwungen und zum Nutzen der Anrainer und Luftfahrzeugbetreiber können vermehrt emmissionsarme Anflüge mit kontinuierlichem Sinken (CDA) durchgeführt werden. Zudem werden beim BER DROps-Verfahren die über Schulzendorf, Zeuthen, Eichwalde und Wernsdorf führenden Z‑Abflugverfahren nicht genutzt.

Webpräsenz Achim Lorber | Stand: 01.03.2024

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